Teil III: Die Biochemie der Partnerschaft

Die grundsätzliche Idee von Beziehung ist auch trotz Singledasein und hoher Scheidungszahlen immer noch ein Erfolgskonzept. Nach den vielen biochemischen Veränderungen im Zuge einer neu entstandenen Liebe, hält die Beziehung, als dauerhafte Form von geteiltem Leben und Erfahren, jedoch noch eine ganze Palette an weiteren Gefühlsregungen parat, denen unsere Stimmungen und Empfindungen entspringen. Liebe besteht grundsätzlich aus drei abgrenzbaren Systemen: Leidenschaft / Lust / Bindung. Leidenschaft und Lust werden dabei von unterschiedlichen Botenstoffen angesteuert. Alle 3 Systeme können unabhängig voneinander agieren. Sie können sich sogar gegenseitig ausspielen. Wenn wir einen Partner haben mit dem wir uns wohl fühlen, und uns trotzdem plötzlich neu verlieben, überwiegt hier die Leidenschaft, obwohl die Bindung zur bisherigen Beziehung dabei nicht schwinden muss.

Echte, innige Liebe dauert zwischen einem und drei Jahren an. Danach kommt, durch gemeinsame Routine im geteilten Alltag, eine Art Kameradschaft mit starkem Bindungsgefühl zustande. Etwa nach drei Jahren sind die meisten Menschen vom Stadium der flammenden Liebe in das Stadium der Partnerschaft übergegangen. Das ist jedoch noch lange kein Grund zur Enttäuschung. Die Partnerschaft ist mindestens genau so erfüllend, begeisternd und auch wichtig für uns, wie die Kennenlern-Phase, sonst wäre ihr Konzept nicht so erfolgreich. Außerdem wurden Paare getestet, die seit über 20 Jahren verheiratet sind und sich immer noch innig lieben. Neuronale Auswertungen ergaben, dass tatsächlich exakt die Gehirnregionen wie bei frisch Verliebten aktiv waren. Echtes Verliebt sein kann also tatsächlich ein Leben lang anhalten, wie die Anthropologin Helen Fisher damit belegte. Der Hirnforscher Lukas Pezewas entwickelte ein ähnliches Forschungsdesign wie Fisher, bei dem die Probanden Fotos ihrer engsten Freunde gezeigt bekamen, sowie Fotos ihrer Beziehungspartner. Gehirnscans zeigten, dass bei geliebten Personen das vordere Striatum (ein Teil des Belohnungssystems) und des Nucleus Cordatus im Tiefenhirn erhöhte Aktivität aufwiesen. Helen Fisher fand mithilfe von Magnet-Resonanz-Bildern ebenso heraus, dass beim Anblick eines geliebten Menschen bestimmte Gehirnareale getriggert, also mit erhöhtem Sauerstoff und Energieausschüttungen versorgt werden. Fisher zeigte dazu den Probanden ebenfalls Fotos ihrer Partner, sowie Fotos von Freunden und Bekannten der Versuchspersonen. Beim Anblick von geliebten Menschen, aktivieren sich Hirnregionen, welche exklusiv auf den Partner zu reagieren scheinen.

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Laut der US-Autorin Ute Eberle sei kein Experte, keine Dating-App und kein Algorithmus dazu fähig, aus einer gegebenen Grundgesamtheit an Menschen absolut sichere Liebes-Matches zu erstellen. Etwa 800.000 Menschen heiraten jährlich in Deutschland – statistisch wird jede dritte Ehe scheitern. Unsere Grundfrage lautet also: Warum können manche ihre Beziehung dauerhaft glücklich aufrecht erhalten, während dies anderen nicht gelingt? Wir möchten ihnen wissenschaftliche Perspektiven darstellen, die sich mit der Frage beschäftigt haben, was eine gute Partnerschaft ausmacht. Es gibt vier Kriterien für eine stabile und glückliche Beziehung, welche die Wissenschaft wie folgt charakterisiert. Eine tiefe gegenseitige Wertschätzung, eine vernunftbasierte Konfliktkompetenz beider Partner, Die Fähigkeit Autonomie zuzulassen sowie letztlich das Selbstvertrauen der Liebenden zu sich selbst und der Beziehung. Es ist empirisch belegt, dass alle sehr guten Beziehungen einzig und allein auf diesen vier Prinzipien beruhen. Emotionale Intimität nimmt gerade zu Beginn einer neuen Liebe extrem zu. Die Erwartungshaltung frisch verliebter lautet „Alles mit einem für immer“ und hält nachweislich etwa 7 Monate an. Danach ebbt die Mikroparanoia langsam ab, sodass wir nicht mehr in Flammen stehen und die mit den Hormonen verbundene Rauschphase endet. Kleinigkeiten und (für uns) lästige Marotten am Partner fangen an diesem Punkt an, uns negativ aufzufallen. Bislang haben wir darüber hinwegsehen können.

Nach etwa 1-3 Jahren kennen sich die meisten Partner so gut, dass es nicht mehr viel Neues am anderen zu erfahren gibt – außer der Partner macht eine gravierende Veränderung durch. Aus banalen Kleinigkeiten werden in dieser Phase leicht grundsätzliche Konflikte. Hier ein empirisch belegter Tipp, um nicht einzustauben: Beide Partner sollten häufiger die Gelegenheit wahrnehmen, etwas völlig neues auszuprobieren. Ein neues Hobby, eine neue gemeinsame Sportart oder ein gemeinsamer VHS-Kurs versetzen beide schnell wieder zurück in die aufregende Anfangszeit des Kennenlernens. Brechen Sie aus dem Alltagstrott aus und wagen sie eine aufregende Reise, lernen Sie eine neue Sprache oder planen Sie wechselseitig häufiger mal spontane Ausflüge ins Blaue um den anderen zu überraschen.

Dennoch lassen sich nicht alle Konflikte und Dispute in einem geteilten Leben mit Ausflügen beheben. Ein vernünftiges Konfliktverhalten muss entstehen. Konfliktkompetenz bedeutet hier, dass man das richtige Streiten im gemeinsamen Wechselspiel der Emotionen finden muss, dass beide Partner langfristig aushalten und keinen der beiden auf Dauer mit emotionalen Schäden zurücklässt – plötzlich klingt es schwierig. Richtig streiten will gelernt sein, wie Sie sehen werden. Der US-Psychologe John Gottman fand heraus, dass wir nur sehr selten echte konstruktive Lösungen für unsere Streitereien finden. Es sei auch gar nicht wichtig, wie ein Streit endet, sondern vielmehr wie er geführt würde, so Gottmann. Unsachliche Kritik ist hier ein grundsätzlich vermeidbares Problem. Ist ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Worte NIE und IMMER einen Konflikt grundsätzlich nur verschärfen können. Es ist oftmals die Art, wie wir aneinander Kritik formulieren und wie wir unseren Unmut rüberbringen. Verallgemeinerungen bauen Blockaden auf, die die Kritik meist unnötig aufblasen. Wenn Partner sich nur noch gegenseitig voreinander rechtfertigen, folgt auf viele Kritikansätze eine Abwehrreaktion die Grundsätzlichkeits-Charakter einnehmen kann – an dieser Stelle haben viele Paare verloren. Verachtung, die offen so formuliert wird um den anderen zu demütigen oder auch Eskapismus (Blocken, Weghören oder sogar aus einem Streit Weglaufen) erzeugen dann zusätzliche Mauern. Oftmals ist dies das letzte Stadium. Die Partner wissen nicht mehr an sich heranzukommen und der Streit verweilt ungelöst zwischen den beiden. Wer diese Faktoren (Verallgemeinerungen/Rechtfertigung/Verachtung/Mauern) erfolgreich zu vermeiden kann, hat einen wichtigen Grundbaustein für eine langfristig stabile und glückliche Beziehung gelegt, so Gottman. Die nach dem Beziehungs-Psychologen benannte „Gottman-Konstante“ besagt, dass man in einer bereichernden Partnerschaft fünf positive Erlebnisse stiften müsse, um ein einziges Negativerlebnis auszugleichen. Es gibt also doch eine Art Punktekonto. Beziehen Sie sich in einem Streit aber bitte niemals auf die Existenz eines solchen Kontos – behalten Sie es nur im Hinterkopf. Zudem beruht jede Beziehung auf unverzichtbaren Verhaltensweisen, so Gottman. Eine der wichtigsten Einsichten der Forscher war „Wer seinen Partner erziehen möchte, erntet meist nur erbitterte Gegenwehr“. In einem erfolgreiche Dialog, so der Mediziner und Psychotherapeut Arnold Retzer, müssen beide Partner partiell eigene Ansprüche zurückstellen – dieser Prozess führt dann in die sogenannte „resignative Reife“ einer Beziehung. Was der Partner vom anderen adaptieren möchte, bereichert beide. Wenn sich ein Partner jedoch einer Lebensfacette des anderen widersetzt, sollte man ihn damit auch gewähren lassen.

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Die gegenseitig gewährte Autonomie ist ein weiterer wichtiger Beziehungsfaktor. Uns Menschen liegen 2 emotionale Grundbedürfnisse inne – Freiheit und Zugehörigkeit/Geborgenheit. Dieser offensichtliche Zielkonflikt erfordert nun einmal Kompromisse. Forschungen belegen, dass sich mittels einer Pendelbewegung in fünf Schritten ein sinnvoller Ausgleich zwischen dem Wusch nach Freiheit und dem nach geborgener Zugehörigkeit in einer Beziehung ermöglichen lässt. Zu Beginn einer Beziehung, in der sogenannten Verschmelzungsphase, finden wir alles am Partner toll. Sobald dieses Partnerideal zu schwinden beginnt, rutschen wir in die sogenannte Widerstandsphase, in der beide Partner beginnen, mehr Autonomie in der Beziehung einzufordern. Diese Phase kann sich ziehen. In der sich dann einstellenden Distanzierungszeit rücken die Paare dann auch merklich auseinander, verfolgen eigene Interessen, frühere Hobbies/Freundeskreise oder lösen Probleme wieder selbstständiger, als im Stadium der frischen Liebe. Das ist grundsätzlich gut, jedoch machen viele Paare hier Fehler, die eine Beziehung belasten und sogar beenden können, wenn sich beide hier zu weit voneinander entfernen. Es ist nur eine Phase, die auch wieder vorübergeht. Im Zuge der neuen Annäherung, geschieht nur dann eine Symbiose aus Autonomie und Beziehung, solange die gegenseitige Liebe hält. Man kann hier positiv einwirken, indem man Grundsatz-Konflikte vermeidet, dem Partner nicht nachstellt und sich gegenseitig einfach gewähren lässt. Im Rahmen der Widervereinigungsphase geschieht dann eine Verschmelzung der Partner. Der Schweizer Psychotherapeut Jürg Willi nennt dies den „Weg einer gelungenen Koevolution“. Das Paar hat die kritische Zeit der Selbstfindung absolviert, dabei gelernt, den anderen zu lieben, und dennoch Autonomie zuzugestehen. Immer dann, wenn Autonomiewünsche in den Vordergrund rücken, kann daraus eine Gefahr für die Beziehung entstehen. Aber ohne Autonomie führen beide Partner eine Beziehung die zwar stabil sein mag, aber sehr schädlich für die persönliche Entfaltung ist. Ihnen fehlt hier einfach die Freiheit.

Wenn Partner sich gegenseitig aufeinander verlassen können und wissen, dass sie gemeinsam alles durchleben und absolvieren wollen, was ihnen das Leben zu bieten hat, spricht die Forschung von Commitment. Oftmals wissen es die Partner voneinander, jedoch kann es nicht schaden dies auch gelegentlich so zu formulieren und einfach einmal voreinander auszusprechen. Je höher das Maß an Commitment der Partner, desto stärker ist die Beziehung für Unvorhersehbarkeiten des Lebens gewappnet (Jobverluste, Umzüge…). Nach erfülltem Kindertraum, fährt der Hormonspiegel der Eltern ohnehin herunter, damit beide mehr Zeit für den Nachwuchs aufbringen können. Das dies mit Unzufriedenheit einhergehen kann, liegt am verminderten Dopamin-Level und ist im Tierreich genau so vertreten wie bei uns Menschen. Wissenschaftler konstatieren jedoch, dass es Paare, die sich kurz nach der Geburt trennen, in den meisten Fällen sowieso nicht geschafft hätten. Kinder sind kein Beziehungskiller! Diese Paare hatten bereits vorher das Vertrauen in den gemeinsamen Beziehungserfolg (Commitment) verloren. Meist findet man auch bei diesen Partner-Konstellationen Selbstzweifel, die vor der Schwangerschaft schon zu Reibereien geführt hatten. Es ist somit essentiell wichtig, Selbstvertrauen zu fassen und damit zu spenden sowie Vertrauen in die Gemeinsame Zukunft zu haben.

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Nachdem wir nun in die Biochemie von Liebe, Verliebt sein und Beziehungen eingedrungen sind, mag vielleicht ein wenig Ernüchterung eingekehrt sein. Bevor Sie nun an eine komplette Entzauberung der Liebe denken, kann ich Sie beruhigen. Wir stehen noch am Anfang eines langen Erkenntnisweges. Und grundsätzlich ist der Anspruch, die Liebe in eine Formel zu übersetzen und die Romantik damit zu entzaubern zwar hoch gesteckt und bietet eine Fülle neuer Möglichkeiten, jedoch warnen Kritiker davor, sich völlig auf das Aktion-Reaktion-Schema wissenschaftlicher Erkenntnisse (sei es Chemie oder Gesellschaftslehre) zu verlassen. Viele argumentieren dabei mit unseren Vorfahren und direkter evolutionär bedingter Kausalkette. Dies kann mitunter ein Fehlschluss sein. Der Philosoph Richard David Precht sagt, dass das größte Wissen über die Liebe nicht theoretisch, sondern praktisch sei. Denn wer praktisch glücklich verliebt ist braucht auch keine Theorie mehr von der Liebe. Brauchen wir also überhaupt Biochemiker und Gehirnwissenschaftler, die uns erklären was dank Mutter Natur automatisch funktioniert. Hirn- und Hormonforscherforscher, Anthropologen und Soziologen beanspruchen alle die einzig richtigen Lösungen gefunden zu haben und die Fachliteratur duldet unterschiedlichste Ansätze aus verschiedenen Forschungsbereichen bislang ungefragt nebeneinander. Nach Ansicht von Precht sei es deshalb auch höchstumstritten, vom Sexualverhalten unserer Primaten-Vorfahren auf den heutigen menschlichen Paarwerdungstrieb zu schließen, da nicht einmal die Methoden unserer Vorfahren in diesem Punkt untereinander vergleichbar sind. Es ist längst erwiesen, dass Liebe kulturabhängigen Grenzen und Anforderungen unterliegt. Warum sollte dies, gerade in der komplex-digitalen Postmoderne, anders sein? Die Liebe ist, wie alle gesellschaftlichen Errungenschaften, einem permanenten Wandel unterzogen. Es kann somit nicht schaden, diesen Wandel im Auge zu behalten um das zu bewahren, was für die meisten von uns allem anderen auf der Welt vorziehen würden.

Erneut lesen: Die Neurobiologie der Liebe Teil 1

Erneut lesen: Die Neurobiologie der Liebe Teil 2

Mit Liebe recherchiert in:

Geo Wissen Magazin, 2016, Nr. 58 „Liebe“

Bode, A., Krüger J., Raabe, H., Zirwes, C. „Die Biochemie der Liebe – ein Hormon-Ratgeber“ Quarks&Co. WDR Köln 2000.