Wichtig ist dabei: Es geht bei diesen Persönlichkeiten nur um Tendenzen, nicht um permanente Verhaltensmuster. Es geht also nicht darum wie wir uns immer verhalten, sondern meistens. Auch in Ihrer Umwelt werden sich „Givers“, „Takers“ und „Matchers“ finden lassen. Höchstwahrscheinlich in einer ähnlichen Verteilung wie der folgenden. Grant kann einige Zahlen nennen, die sich immer wieder bei der Erforschung von Unternehmenskulturen bestätigt haben.

Knapp ein Fünftel (19%) jeder Organisation besteht aus „Takers“ – also aus Leuten die andere ausnutzen, um eigene berufliche Ziele umzusetzen. Sie geben ungeliebte Aufgaben an Kollegen ab, lassen sich nicht nur von anderen helfen, sondern nutzen diese regelrecht aus. „Takers“ erzeugen damit in Organisationskulturen eine Art Paranoia. Ihre einzige Motivation, sich mit anderen abzugeben, fußt auf einer simplen Frage: Was können andere für sie tun? Ein Projekt bei dem nur „Takers“ eingespannt sind, ist zum Scheitern durch Chaos und Missgunst verurteilt. „Takers“ sind nicht selten krasse Narzissten. Ob jemand ein „Taker“ ist, lässt sich aber nicht auf den ersten Blick feststellen. Man muss längere Zeit zusammenarbeiten, um so jemanden gut einschätzen zu können.

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Ein Viertel der Belegschaft jeder Organisation besteht aus den „Givers“. Sie sind das Gegenteil der „Takers“. Ihre Motivation einspringt hauptsächlich der stoisch selbstlosen Frage, was sie für andere tun können. „Givers“ sind jene Personen mit der schlechtesten Performance in ihrem Arbeitsbereich. „Givers“ sind so darauf fixiert, andere in ihrer Arbeit zu unterstützen, dass sie selbst oftmals ihre Arbeit nicht auf die Kette bekommen. Dabei sind sie dennoch der Kitt, der eine Belegschaft zusammenhält, Arbeitsbedingungen verbessert, Organisationswege optimiert und letztendlich dabei mit eigenen Aufgaben auf der Strecke bleibt. Medizinstudenten, die in ihrer Ausbildung am stärksten an der Aussage festhielten „Ich will anderen Menschen helfen!“ schnitten unter allen Kursteilnehmern mit den schlechtesten Noten ab.

Adam Grant hinterfragte in seiner Studie gezielt Probanden, die einen enorm hohen „Giver-Index“ aufwiesen und (wie erwartet) schlechte Produktivitätszahlen im Job hatten. Er bekam eine klare Antwort: Die“Giver-Probanden“ zeigten allesamt so viel Leidenschaft und so viel Hilfsbereitschaft, dass sie es nicht übers Herz brachten, ihren Kunden schlechte Produkte anzubieten – selbst wenn das der Agenda ihrer Stelle widersprach. Sie nahmen es sogar in Kauf, sich selbst zu opfern, um die Organisation zu verbessern oder Kundenwünschen zu entsprechen. Das macht „Givers“ zum absoluten Gegenteil eines gewissenlosen „Takers“. Wenn „Giver“ also realisieren, dass sie es mit einem klassischen „Taker“ zu tun haben, setzen sie alles daran, um dessen Pläne zu durchkreuzen.

Knapp die Hälfte (46%) der von Adam Grant untersuchten Belegschaften bestanden aus der dritten Kategorie – den „Matchers“. Sie wollen stets eine Balance zwischen Geben und Nehmen anstreben – Grant verwendet den Begriff „Quid pro Quo“. „Matchers“ können sich situativ auf andere einlassen und somit entweder zum „Giver“ oder zum „Taker“ werden – abhängig von ihrem Gegenüber. „Matchers“ sind dabei sehr um „Giver-Persönlichkeiten“ bemüht, sobald sie merken, dass sich jemand mit enormem Commitment einbringt. Statistisch betrachtet sind die „Matchers“ die produktivsten Entitäten in einer Organisation. Die produktivsten… aber nicht die erfolgreichsten!

Ist die Entscheidung ein „Giver“ zu sein, somit die schlechteste in dieser Gesamtkonstellation? Laut Grant sind die absoluten Gewinner dieser Gleichung jedenfalls auch nicht die „Takers“. Obwohl sie enorme organisatorische Umbrüche einläuten können, tendieren „Takers“ dazu, schnell aufzusteigen, aber auch schnell wieder zu fallen. Wenn nun also die „Matchers“ zahlenmäßig überwiegen, könnte man annehmen, dass es doch eigentlich die cleverste Entscheidung sei, ein „Matcher“ zu sein. Aber auch das ist falsch. Nur weil der Mainstream eine Richtung einschlägt, muss dieser Weg noch nicht der beste sein – vielleicht ist es nur der einfachste.

Grants Lösung ist verblüffend. „Givers“ sind die produktivsten Köpfe in einer Organisation. Moment: Hatten wir nicht eben noch das Gegenteil gesagt? Ja, stimmt empirisch betrachtet auch. „Givers“ ordnen sich eher polarisiert in einer Organisation an. Manche von ihnen sind tatsächlich unterdurchschnittlich erfolgreich (weil sie sich nur mit den Problemen anderer befassen), andere „Givers“ liefern dafür aber überdurchschnittliche Resultate. In einer Verkaufsabteilung können der schlechteste und der erfolgreichste Verkäufer durchaus beide “Giver“ sein. Was entscheidet also über den Erfolg/Misserfolg eines „Givers“? Ganz einfach: Ihr Umfeld!

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„Givers“ sind die wertvollsten Persönlichkeiten einer Organisation. Wenn man sich jedoch nicht gut um sie kümmert, gibt man sie der Ausnutzung durch die „Takers“ preis und sie brennen irgendwann aus. „Givers“ können jedoch (auch wenn man sie in Ruhe lässt) sehr schnell ihren eigenen Arbeitsbereich vernachlässigen und dadurch Schaden nehmen. Wie finden „Givers“ nun das richtige Maß zwischen Top und Flop? Erst einmal haben sie ja ein nobles Ziel, bei dem sie nur deshalb stolpern, weil sie zu motiviert sind. Mäßigung ist der Schlüssel. So sind es oftmals die kleinen Wege, anderen zu helfen, die wirkliches Potenzial versprechen. Grant nennt seinen Vorschlag die „5-Minuten-Gefallen“. „Givers“ sollten Möglichkeiten für sich entdecken, um anderen mit minimalem Eigenaufwand zur Hilfe zu schreiten. Dabei können sie andere unterstützen, ohne eigene Ziele zu vernachlässigen.

Eine Organisationskultur in der Hilfe aktiv eingefordert wird, ermöglicht es wiederum den „Givers“, solche „5-Minuten-Gefallen“ zu finden. Ebenso kann das Umfeld einem „Giver“ zeigen, dass er/sie durchaus auch Gefälligkeiten einfordern kann. „Givers“ müssen also im Rahmen der Organisationskultur die Möglichkeit erhalten, ihr Potenzial sinnvoll einbringen zu können. Gegenbeispiel: Wer auch nur einen radikalen „Taker“ in sein Team holt, wird schnell merken, dass die „Givers“ aus der Gruppe zurückhaltender werden, sobald der „Taker“ entlarvt ist. Sie reduzieren sich auf Formaldienst nach Vorschrift – klar… wer wird schon gerne ausgenutzt? Also kann ein „Taker“ das Commitment eines ganzen Projektes lahm legen.

Effektive Organisationsplanung besteht somit nicht darin, möglichst viele „Givers“ ins Boot zu holen, sondern die „Takers“ über Bord zu stoßen. Eine Organisation ohne „Takers“, lässt die „Givers“ prosperieren. Und was ist denn dann mit den „Matchers“? Die erleichternde Erkenntnis ist, dass die „Matchers“ im betrieblichen Kollektiv immer der Norm folgen werden. Existiert eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung und des offenen Austausches, werden die „Matchers“ auf diesen Zug aufspringen. Ist gegenseitige Ausnutzung an der Tagesordnung, werden die „Matchers“ nicht über ihren Schatten springen, sondern sich ebenso gegenseitig belauern und auch nur noch auch auf den eigenen Vorteil hinarbeiten. Sie sehen: Schon ein übler „Taker“ schafft es, die gesamte Organisationsstruktur herunterzuziehen, indem er/sie versucht, es sich selbst einfach zu machen.

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Kann man nicht anhand der Freundlichkeit einer Person auf ihr Workplace-Commitment schließen? Besser gesagt: Kann man an den Charaktereigenschaften einer Person festmachen, ob es sich um einen „Giver“ oder einen „Taker“ handelt? Nun ja… das geht schon, so Grant. Wichtig ist jedoch, dass es angenehme und unangenehme Personen bei beiden Charaktertypen gibt. Adam Grant bedient sich einiger allseits bekannter Film-Figuren, um freundliche/unfreundliche „Givers/Takers“ deutlich zu machen. Grant veranschaulicht angenehm-freundliche „Givers“ mit Ned Flanders, dem Nachbarn der Simpsons-Familie aus den Kindercartoons. Flanders macht immer alles für andere, auch wenn er selbst dabei auf der Strecke bleibt.

Als das Abziehbild der unangenehmen „Givers“ stellt Grant den Fernseharzt Dr. House vor. Wer die Serie kennt, wird den Unterschied gleich erkennen. Gregory House ist kein wirklich umgänglicher Arzt, dennoch zeigt sich immer wieder, dass er seinen Patienten (auch mit den unfreundlichsten Methoden) im Grunde nur helfen möchte, obwohl es ihm meist mehr um die richtige Diagnose eines komplizierten Krankheitsbildes geht. Dabei menschelt Dr. House zwar selten, aber er beweist ein enormes Commitment für seinen Arbeitsbereich im Krankenhaus.

Auch für „Takers“ kann man Stereotypen entwickeln. Unangenehme „Takers“ sind einfach nur böse – Lord Sidious aus der Starwars-Saga beispielsweise. Solche Charaktere nehmen sich, was sie wollen und erfreuen sich noch daran, wenn jemand dabei auf der Strecke bleibt. Die klassischen Schurken… Sicherlich muss es dann jedoch auch „Takers“ geben, die angenehm und freundlich auf uns wirken. Freundliche „Takers“ fasst Grant unter dem Begriff „Fakers“ zusammen. Sie sind Meister darin, sich zu verstellen, obwohl sie eigentlich nur der eigenen Agenda verschrieben bleiben. Einen „Faker“ zu entlarven kann mitunter sehr lange dauern und ist meist mit Enttäuschungen verbunden. Hier dürfen Sie gern ein eigenes Beispiel suchen. Ich finde immer wieder welche in der Politik…

Was können wir nun daraus mitnehmen?
Um das zu beantworten, müssen wir noch einmal zurück zu der Paranoia vom Anfang. Wir hatten gesagt, dass „Takers“ Paranoia erzeugen. Grant spricht sich dafür aus, diese Paranoia durch eine Kultur der Pronoia zu ersetzen. Pronoia ist das Gegenteil – unser wahnhafter Glaube daran, dass andere sich dazu verschworen haben, unser Leben besser zu machen. Mit einer klaren „Givers-Kultur“ in unseren Organisationen, rückt diese Option in greifbare Nähe. Wir müssen die „Givers“ nur gewähren lassen und sie gleichzeitig vor den „Takers“ schützen, um ein Betriebsklima aufzuwerten. Der Mainstream der „Matchers“ wird sich der neuen Unternehmenskultur dann anschließen. Aber nur wer einen Blick für „Givers“, „Takers“ und „Matchers“ entwickelt, kann Teil der Veränderung werden, die unsere Organisationskultur revolutionieren könnte.

Quellen:

TED „Are you a giver or a taker? | Adam Grant“ Beitrag aus der TED-Reihe. Am 24.01.2017 von „TED“ auf Youtube hochgeladen.

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