Peter Lauster: Die neun Mythen der Liebe

Mit diesen Vorstellungen und diesem Irrglauben räumt Peter Lauster auf. In seinem Sachbuch „Die Liebe. Psychologie eines Phänomens“, das 1980 in der Erstausgabe erschien und seitdem mehr als eine Million Mal verkauft wurde, beschreibt der Kölner Psychologe neun Mythen rund um das Thema der Liebe. Gleichzeitig macht er deutlich, warum diese widerlegt werden können. So versucht er die Liebe zu erklären und sie fassbar zu machen.

Liebe ist nicht gleich Sexualität

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Der erste Mythos, den Lauster aufstellt und widerlegt, lautet „Sexualität macht frei“. Er sieht die Entstehung dieses Mythos-Ursprungs bei den Forschungen der Psychologen Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, und Wilhelm Reich. Bei Freud sei „die Befreiung der sexuellen Triebenergie“ ein entscheidender Punkt. Wilhelm Reich habe auf Freuds Forschung aufgebaut und eine nicht funktionierende Sexualität für die Entstehung von psychischen Störungen verantwortlich gemacht. Lauster sieht die Forschungen als Grundlage dafür, dass nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik liberale Gesetze in Bezug auf Sexualität erlassen worden sind. Lauster hält es aber für einen falschen Schluss, dass diese Liberalisierung „den Einzelmenschen oder die Gesellschaft freier machten“. Er räumt einer befreiten Sexualität zwar einen entscheidenden Platz für das Wohlbefinden ein, doch es bedürfe eben auch einer Entfaltung der „seelischen Liebesfähigkeit“. Der Psychologe schreibt auch, dass Sexualität nur konsumiert und nicht erlebt werde. So könne zwanghaftes Verhalten hervorgerufen werden, das unfrei mache.

Der zweite Mythos, den Lauster beschreibt, lautet „Sexualprobleme gelöst – alle Probleme gelöst“. Dieser Mythos baue auf dem ersten Mythos auf, sodass Lauster seine Überlegungen mit demselben Argument wie beim ersten Mythos begründet: Sexualität sei nur ein Teil des Seelenlebens, der eben deshalb nicht alle Probleme lösen könne. Dazu bedürfe es eben der Liebe, so Lauster. Damit meint der Psychologe aber nicht nur die Liebe zu einem Partner, sondern „eine generelle Liebe, eine Entfaltung der gesamten psychophysischen Liebesfähigkeit“. Lauster geht sogar noch weiter: Er stellt die These auf, dass sich Sexualprobleme nicht ohne Liebe lösen lassen würden.

Der dritte Mythos lautet „Der Orgasmus ist das Ziel der Liebe“. Lauster beschreibt zwar als das Ziel der sexuellen Funktion den Orgasmus – verbunden mit der biologisch und evolutionär bedingten Aufgabe der Fortpflanzung. Das würde auch ohne Liebe funktionieren, doch die Liebe würde das ganze schön machen, es sozusagen auf eine neue Stufe heben. Mit der Liebe würde ein „seelisches Glücksgefühl“ hinzukommen, so Lauster. Er beschreibt die Liebe als „Katalysator der Seele“. Hierzu führt er verschiedene Beispiele aus dem alltäglichen Leben an: Arbeit könne man verrichten, um Geld zu verdienen, doch wenn die Liebe zur Arbeit hinzukomme, würde man sich viel wohler fühlen. Was er meint ist: Man muss Sexualität und Liebe trennen. Nur durch letztere könne man vollständig erfüllt werden.

Den vierten Mythos nennt Lauster „Technik ist wichtig für eine befriedigende Sexualität“. Analog zu den vorherigen Mythen, die er widerlegt, verdeutlicht er bei diesem Mythos, dass sexuelle Techniken bei der Befriedigung eine untergeordnete Rolle spielten. Es komme auf die Liebe an, denn sie ist „schöpferisch und findet in jedem Moment das Richtige“. Liebe müsse sich entfalten, dann ergebe sich die Sexualität und die Befriedigung von allein.

Liebe überwindet traditionelle Grenzen

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Der fünfte Mythos lautet „Liebe in der Jugend ist anders als im Alter“. Lauster hält die Liebe und das Gefühl des Verliebtseins nicht an ein Alter gebunden. Dennoch räumt er ein, dass viele Menschen das Gefühl haben, in der Kindheit und Jugend sei die Verliebtheit noch größer und intensiver gewesen. In jungen Jahren wird die Liebe noch durch die Sensitivität bedingt. Im Laufe der Jahre treffe man dann rationale Entscheidungen. Das könnte die Suche nach Sicherheit und Erfolg sein, so Lauster. Daran leide aber das Gefühl, Liebe und Verliebtsein zu empfinden. Denn Liebe sei unmittelbar an die Sinne gekoppelt: Stumpfen diese ab, stumpft auch das Gefühl der Liebe ab, meint der Psychologe.

Den sechsten Mythos beschreibt Lauster als „Die große Liebe dauert ewig“. Lauster hält diese Aussage für falsch. Er räumt zwar ein, dass Liebe einen Menschen sein ganzes Leben lang begleitet, doch der Psychologe rät davon ab, diese ewige Liebe zu suchen und vor allem sie bzw. seinen geliebten Partner besitzen zu wollen. Vielmehr entfalte sich die Liebe in Offenheit im Augenblick und der „enthält Ewigkeit“, schreibt Lauster.

Der siebte Mythos lautet „Eifersucht gehört zur Liebe“. Lauster sieht auch bei diesem Mythos als eine Grundlage für die Entstehung von Eifersucht, dass man den anderen Partner besitzen will und auf seine Liebe fixiert ist. Das aber sei falsch.  Der Psychologe erklärt das damit, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Besitz eine große Rolle spiele. Neben den „Besitzansprüchen“ gegenüber dem Partner spiele auch das Gefühl, nicht genug geliebt zu werden, bei Eifersucht eine entscheidende Rolle. Dieses Gefühl entstehe häufig in der Kindheit, so Lauster: Eltern würden ihren Kindern keine „wirkliche Liebe“ entgegenbringen. Um das Gefühl, nicht genug geliebt zu werden, und die Besitzansprüche zu überwinden solle man sich in einer Beziehung nur auf die Liebe zum anderen konzentrieren, schreibt Lauster.

Der achte Mythos lautet „Die Liebe ist ein Ereignis des Schicksals“. Der Glaube daran, dass durch das Schicksal bestimmt ist, in wen man sich verliebe, sei ein weit verbreiteter Irrglaube, so Lauster. Man glaube oft, dass es nur „den einen“ Partner gebe. Transportiert werde das auch häufig in Romanen. Doch man habe seine Liebe selbst in der Hand: Um sich zu verlieben solle man offen und bereit sein. Lauster schreibt, dass ein Mensch, der liebesfähig ist, denselben Menschen immer und immer wieder lieben könne. Doch er verdeutlicht auch, dass Treue ein Mythos ist. Man solle der Liebe treu sein und offen und wenn man sich in einen weiteren Menschen verlieben würde, dann sei das normal. Die Liebe zu unterdrücken würde krank machen.

Den neunten Mythos nennt Lauster „Der Mensch kann nur eine oder höchstens zwei große Lieben erleben“. Diese Aussage hält der Psychologe für falsch, weil die Liebe etwas „Alltägliches“ sein solle. Auch hier spielt der Aspekt der Treue wieder eine große Rolle: Ein liebesfähiger Mensch habe „keine Grenzen irgendwelcher Art“. Die Liebe werde alle Barrieren der Tradition überwinden und das müsse man zulassen. Die These, dass Menschen, die häufig verschiedene Menschen lieben würden, einen gesteigerten Sexualtrieb hätten, widerlegt Lauster. Auch hier macht er wieder deutlich, dass Liebe und Sexualität getrennt betrachtet werden müssten. Einen Seitensprung in der Sexualität könne verziehen werden, so Lauster. Für die Liebe aber gelte das nicht. Und genau das sei falsch. Die Liebe müsse sich entfalten können und dann käme auch die Sexualität automatisch. „Die Liebe ist ein Geschenk des Lebens“, schreibt Lauster, das nicht in traditionelle Bilder von Schicksal, Besitz und Treue passe.

Quelle:  Lauster, Peter: Die Liebe. Psychologie eines Phänomens. Econ Verlag. Berlin, 1980.