Wir hier in Deutschland haben im globalen Vergleich unbestreitbar das große Los gezogen. Um die Lebensumstände, die für uns zur Normalität geworden sind, beneiden uns sicherlich mehr als 90% aller Erdenbürger. Freiheit, funktionale Gesundheitssysteme, eine zuverlässige Umlagefinanzierung und eine Garantie auf ein erfülltes Leben fern ab von ultimativen existenziellen Sorgen. Oftmals fällt uns dieser Umstand nur dann auf, wenn wir ein krasses Gegenbeispiel aufgezeigt bekommen.

Nat Ware hat lange Zeit für unterschiedlichste Projekte in Afrika gearbeitet und berichtete 2014 in Klagenfurt, wie betroffen er von den Schicksalen der Menschen war, auf die er im Rahmen seiner Arbeit in unterschiedlichen Ländern des schwarzen Kontinents traf. Was ihn schockierte, waren weniger die Lebensumstände dieser Menschen, sondern wie glücklich sie trotzdem waren. Ein Blick auf die Statistik gibt ihm recht. Die glücklichsten Menschen der Welt leben nicht in den reichsten westlichen Industrienationen, sondern in Ländern wie Rwanda, Mosambik oder – um mal über den afrikanischen Kontinent hinauszublicken – in Birma. Alles Orte, die noch stärker von nicht endenden Kriegen, Armut und Hunger regiert werden, als durch ihre autokratischen Herrscher und korrumpierte Regime.

Da ihm diese Treffen nicht mehr aus dem Kopf gingen, entschloss sich Ware, das Forschungsgebiet Glück näher zu untersuchen, als er nach Oxford zurückkehrte. Auf seiner Suche nach echtem Glück für uns Menschen zäumte er das Pferd von hinten auf, indem er fragte: Was macht Menschen unglücklich?

Der Ökonom und Unternehmer überlegte sich drei persönliche Entscheidungsfragen, die ich Ihnen im Folgenden auch stellen möchte. Abhängig davon, wie Sie antworten, können Sie etwas über sich selbst erfahren, was Sie vielleicht noch nicht wussten.

Frage 1: Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Möglichkeit, Ihre Siegposition bei den Olympischen Spielen selbst festlegen zu dürfen.

A: Sie belegen den zweiten Platz
B: Sie belegen den dritten Platz
C: Sie werden vorletzter Sieger

Antwort: Die korrekte Antwort lautet erstaunlicher Weise B, obwohl sich die meisten Menschen vermutlich für A entscheiden würden. Ware begründet seine Antwort damit, dass überdurchschnittlich viele Zweitplazierte viel unglücklicher mit der Tatsache sind, dass sie den ersten Platz so knapp verfehlt haben, anstatt ihren Erfolg zu feiern. Die vertane Chance auf das ganz große Los – so formuliert – klingt jene Gier durch, auf die der Ökonom hinausmöchte. Bevölkerungsbefragungen bestätigen ihn durchaus. Der dritte Platz ist der ideale Break Even Point zwischen Anerkennung eigener und fremder (besserer) Leistung.

Frage 2: Hätten Sie lieber…

A: Jetzt sofort einen Lottogewinn in Höhe von 10 Millionen Euro bar auf die Tatze, oder…
B: Eine stetig steigende Rente, die ihnen lebenslang kleine tägliche Geldmengen ausschüttet, jedoch insgesamt nur 8 Millionen Euro beträgt. Ihr tägliches Taschengeld würde sich zwar stetig leicht erhöhen, aber auf große Wünsche müssten Sie trotzdem noch einige Zeit sparen.

Antwort: Etwa 92% der Gesamtbevölkerung würden hier (A) nehmen und vergleichsweise mickrige 8% wären mit der hedonistischen Tages-Rente glücklicher. Der Mainstream liegt klar falsch, wenn wir diese Erhebung nach Gesichtspunkten des eigenen Glücks betrachten. Wares Antwort ist auch hier ganz klar Letzteres (B).

Frage 3: Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich zwischen drei Gehaltsstufen entscheiden, Ihre Entscheidung jedoch ausschließlich nach dem Gesichtspunkt der persönlichen Zufriedenheit bemessen. Würden Sie lieber…

A: monatlich 50.000 Euro erhalten, während alle anderen den gleichen Betrag einfahren?
B: monatlich 50.000 Euro erhalten, während alle anderen 60.000 Euro erhalten, oder…
C: monatlich 40.000 Euro erhalten, während alle anderen 30.000 Euro bekommen?

Antwort: 60% der Gesamtbevölkerung würden sich für das Gleichheitsprinzip (A) entscheiden und 34% für die Antwortmöglichkeit (B). Obwohl nur 6% (C) gewählt hätten, ist dies laut Ware der richtige Weg. Sicherlich spielen bei diesen drei Beispielen viele offene Kleinigkeiten in den Entscheidungsprozess hinein, aber wenn Sie logisch an die Sache herangehen, bleibt Ihnen keine andere Wahl, als (C). Denn nach dem Maximierungskonzept „Geld macht glücklich“, macht mehr Geld dann glücklicher als weniger (bemessen zum Durchschnitt).

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Hätten Sie bei diesen drei Fragen immer richtig gelegen? Falls nicht, trösten Sie sich damit, dass Sie nicht allein sind. Ein makroskopischer Blick auf die Weltgesellschaft offenbart uns, dass viele Menschen kein bisschen verlässlicher in der Abschätzung von Zukunftsentscheidungen sind. Wir können schlichtweg die Auswirkungen einer Entscheidung im hier und jetzt nicht vernünftig abschätzen – zumindest die meisten von uns.

Wares 3-Fragen-Miniexperiment bestätigt sich mit einem Blick auf unsere Weltgesellschaft.Die reichsten Staaten der Erde sind nicht automatisch die glücklichsten. Gerade die westlichen Industrienationen werden scheinbar immer unglücklicher, je reicher sie zu werden scheinen. Viele dieser Länder weisen mittlerweile höhere Suizidraten auf, als Tötungsdelikte. Mit steigender Reisegeschwindigkeit steigt ebenso unser Drang nach Beschwerden im Verspätungsfall. Oder, um beim Blogthema bleiben zu können: Je mehr uns Tinder&Co. die Partnersuche vereinfachen, desto weniger glücklich und sicher sind wir mit unseren Partnerentscheidungen. Egal welche Vereinfachung wir uns betrachten – es vermag uns kein Mehr an Freude und Befriedigung geben zu können. Kurzum: Je besser wir werden, desto unglücklicher macht uns das. Ware nennt es eines der größten Paradoxa unserer Postmoderne. Warum sind wir also unglücklich? Wir haben bei weitem keinen Grund dazu. Weshalb greifen wir also so oft daneben, wenn es um unsere eigenen Zufriedenheits-Prognosen geht?

Das Problem liegt nicht an der umfangreicheren Erfassung von Glück oder Unzufriedenheit, sondern an unserer innersten Erwartungshaltung, so Nat Ware.So gesehen entsteht das Problem in uns selbst, nicht in unserer Umwelt. Immer wenn unsere Erwartungen die tatsächlichen Verbesserungen übertreffen, kommen wir damit nicht wirklich gut klar. Ware nennt es die Expectation-Gap (Erwartungs-Lücke), die er in drei verschiedene Typen unterteilt.

Die Imagination-Gap: Wenn unsere Vorstellungen die Möglichkeiten der Realität übersteigen. Wir alle wählen aus einem beliebig breiten Rahmen meist jene Angebote aus, die uns am besten gefallen. Jene Entscheidungen aus einem Möglichkeits-Spektrum, die wir (zweckbezogen) als am besten geeignet erachten.

Lassen sie mich Wares Ansatz an einem einfachen Beispiel aufzeigen. Wenn wir einen Politiker wählen, weil der uns das Blaue vom Himmel verspricht, davon jedoch nichts umsetzt, entsteht in uns eine Lücke zwischen Erwartungshaltung und Realität. Laut Nat Ware entspringt unsere Unzufriedenheit aus dieser Lücke zwischen erwarteten und tatsächlichen Veränderungen. All jene frustrierten Wähler verbindet dabei eine Tatsache mit den enttäuschten Tinder-Nutzern dieser Welt… sie alle dachten, dass sich mit ihrer Wahl (politisch oder romantisch) alles zum Besseren verändern würde. Immer, wenn wir uns dem vermeidlichen Fortschritt widmen (ob politisch, technisch, wirtschaftlich oder mental), laden wir unsere Entscheidung mit einer ganzen Reihe positiver Vorurteile auf. Wir malen uns in unserer Fantasie utopische Wunschbilder aus, mit denen die Realität nicht einmal an guten Tagen mithalten kann… Wenn wir dies dann selbst bemerken, werden wir zwangläufig enttäuscht und dadurch wiederum unglücklich. Dieser Unmut rührt nicht zuletzt daher, dass wir uns jedes Mal ein Stück weit betrogen fühlen, obwohl es in Wirklichkeit eher ein Selbstbetrug ist, als echte Fremdtäuschung. Oder mit Wares Worten ausgedrückt: Würden Sie einen Politiker wählen, der Ihnen verspricht, das alles beim Alten bleibt? Vermutlich nicht…

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Das ist aber nicht kategorisch unsere eigene Schuld, sondern ein Symbol dafür, wie anfällig wir mittlerweile für Werbung geworden sind.

Der Ökonom beschreibt unsere Werbeaffinität im nächsten Schritt als Interpersonal Gap: Die zwischenmenschliche Lücke nach Nat Ware besagt, dass wir Urteile über uns selbst auf Basis unseres Umfeldes treffen. Wir vergleichen uns mit unseren Mitmenschen und finden bei anderen die angestrebten Maßstäbe für uns selbst. Beispiel gefällig? Wir bekommen die perfektesten Photoshop-Models vorgesetzt und ärgern uns, dass wir nach drei Wochen Ekel-Diät noch nicht so makellos aussehen, wie die sportlichen Werbeträger auf den Vorher/Nachher-Bildern der Verpackung. Wir bekommen gesagt, dass sich alle 11 Minuten jemand auf Parship verliebt und geben uns später selbst die Schuld daran, dass wir nach 11 Minuten auf der Plattform noch nicht glücklich verheiratet sind… zumal diese Zeitangabe (gemessen an allen Parship-Nutzern) kein wirklich tolles Ergebnis darstellt. Warum muss unser Traumpartner ein perfekter Match sein? Weil die Rollenbilder der Werbeindustrie, die uns unsere Art zu Lieben vorleben, auch einen perfekten Match an ihrer Seite haben? Der romantische Fehlschluss lässt grüßen.

Zuletzt noch die Intertemporal Gap, die unseren Erfahrungen aus der Vergangenheit entspringt: Statistische Erhebungen haben gezeigt, dass Menschen mit einem stetig steigenden Einkommen deutlich glücklicher sind, als jene Arbeitnehmer, deren Einkommen im Laufe des Arbeitslebens absinkt, selbst wenn beide Personen im statistischen Mittel zur gleichen Einkommensklasse gezählt werden können. Die Psychologie spricht hier von einem Ankereffekt. Es ist völlig normal, dass wir im Laufe unseres Lebens immer neue Ziele formulieren, Strategien zu ihrer Umsetzung aufstellen und verfolgen. Persönlich zu wachsen ist ein Schlüsselelement unserer psychischen Gesundheit, doch gerade für Kinder aus heutigen Generationen verbirgt sich hier eine nicht zu unterschätzende Gefahr.

Egal ob in der Schule, von den Eltern oder vom Bildungsministerium wird heute das heilige Mantra verbreitet, dass Kinder alles erreichen können. Jedem jungen Individuum liegt das Potenzial inne, selbst einmal Präsident, Astronaut oder gar Superheld werden zu können. Wir bereiten Kindern (oftmals mit hohen Kosten und maximalem Aufwand) den bestmöglichen Start ins Leben und setzen sie mit der allgemein vorherrschenden Erwartungskultur „Du kannst alles erreichen“ ungewollt unter massiven Erfolgsdruck. Immer dann, wenn die Kinder selbst merken, dass sie eben nicht alles erreichen können, kommt die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität zum Tragen. Bei bestmöglichen Startbedingungen können sich die Betroffenen oftmals nur selbst die Schuld geben, dass ihre hehren Ziele nicht Realität geworden sind. Für Nat Ware ist dies einer der Hauptgründe für herbe Enttäuschungen, Minderwertigkeitskomplexe, Depressionen, Ängste und vergleichbare seelische Leiden.

Mit einem Blick auf seine Ausgangsfrage, sollten wir uns also stets fragen, weshalb wir unglücklich sind, anstatt dem vermeidlichen Glück blind nachzulaufen. Wenn Sie sich das nächste Mal unglücklich fühlen, versuchen Sie herauszufinden, ob Ihre eigenen Erwartungen mit einer der drei Erwartungsformationen nach Nat Ware in Konflikt stehen. Sind ihre Vorstellungen zu ambitioniert gewesen? Haben Sie sich zu stark an Ihrem Umfeld orientiert oder sehen Sie eine zeitliche Diskrepanz zwischen Ihren Wünschen und dem Ankereffekt? Diese und eine ganze Reihe weiterer Fragen gilt es zu klären, wenn Sie sich ihrer vielleicht größten Schlacht stellen: „Winning the Imagination Battle“.

Quelle:
Ware, N. “Why we`re unhappy – the expectation gap | Nat Ware | TEDx Klagenfurt” Beitrag zur TEDx Talks-Reihe “Ethnispreneurs ahead”. Am 18.11.2014 von “TEDx Talks” auf Youtube hochgeladen.

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