Soziologen beforschen den zunehmenden Trend von Zielkonflikten durch Partnership-Angebote auf soziale Medien und ähnlichen Plattformen. Der Mann sucht eine atemberaubend schöne Frau, reduziert damit weite Teile seiner Erwartungshaltung auf ihr Äußeres und überlädt ihr bezauberndes Gesicht mit vielen positiven Vorurteilen. Später nerven ihn Zeit/Kosten, die sie in die Pflege und ihr Aussehen investiert. Ferner stört es ihn, dass sie ständig von fremden Männern angestarrt oder angeflirtet wird und dies auch noch zu genießen scheint. Dass ein makelloses Aussehen zeitintensiv sein kann und andere Männer auf Schönheit reagieren, wie Haie auf Blut im Wasser, sind jedoch keine wissenschaftlich neuen Erkenntnisse. Jackson hätte wissen müssen, worauf er sich einließ – gerade dann, wenn er sich über seine Eifersuchtsneigung im Klaren war. Conny wiederum suchte einen erfolgreichen Mann, der ihr spontan jeden Luxus erfüllen konnte, ärgert sich aber, dass dieser so viel arbeiten musste, und seinen Job häufig ernster zu nehmen schien als die Beziehung, während er sie auf ihr Äußeres reduziert. Es klingt paradox, aber genau diesen Männertyp (Cowboy) hat Conny gesucht und in Jackson ja auch gefunden. Dass eine hohe berufliche Stellung sehr oft mit hohem beruflichem Engagement einhergeht, hätte Conny dabei klar sein müssen.
Für ihr Umfeld und auch die Internet-Börse waren Conny und Jackson ein perfekter Match. Anhand der zur Verfügung gestellten Daten, der gegenseitigen Sucheinstellungen und der Art der Suche, blieb dem Algorithmus auch gar keine andere Wahl, als die beiden für geeignete Partner zu halten. Im wahren Leben stellte sich dann heraus, dass sie sich besser niemals begegnet wären. Darüber hinaus ist beiden vermutlich nicht durch die Trennung klar geworden, dass sie mit ihrer suche einer Utopie hinterherlaufen, die ihnen weder guttut, noch die benötigten Grundvoraussetzungen für eine gemeinsame Beziehung mitbringt. Aber warum? Beide hatten doch ihren idealen Traumpartner gefunden. Sie hatten den perfekten Match, nach dem sie gesucht hatten. Weshalb hat es also nicht geklappt? Naja… Beide haben nicht richtig gesucht. Sie wussten buchstäblich nicht genau, was sie wollen und in einer stabilen Beziehung brauchen. Liebe machte anfangs blind, sodass sie seinen Erfolg lediglich bewunderte, jedoch nicht hinterfragte. Genau das tat er mit ihrem Aussehen. Es klingt vielleicht etwas bizarr, aber eigentlich müssten im Online-Dating folgende Themen behandelt werden: Wie genau stellen sich ihrer Online-Matches eine gemeinsame Zukunft vor? Von welchem Beziehungstypus träumen Sie, welche Bindungstypen suchen Sie und wie lässt sich das mit den Vorstellungen ihres aktuellen Kontaktes vereinbaren? Hat ihr Match in Bezug auf Beziehung oder sogar Kinderwünsche gleiche Vorstellungen? Welchen Erziehungsstil würden sie sich vorstellen? etc… Sie merken es bereits… solche Themen sind extrem spezifisch, maximal persönlich und passen keinesfalls in einen Smalltalk während der Kennenlern-Phase. Trotzdem sind das die wichtigsten Eckpfeiler, die zu Zielkonflikten führen werden, wenn sie nicht rechtzeitig kommuniziert werden können.
Liebe braucht deshalb Gelegenheiten, in denen sich zwei Menschen sich begegnen können. Wenn man nicht den richtigen Menschen begegnet, bedeutet dies nicht, dass etwas nicht stimmt, sondern nur, dass wir mit zu wenigen Menschen zusammenkommen, aus deren Grundgesamtheit wir mögliche Dating-Partner finden könnten. Haben Sie schon einmal beim Shopping nicht das richtige gefunden? Das war doch auch nicht ihre Schuld, sondern das unausgewogene Angebot der Boutique, richtig.
Digitale Medien tragen zur „Entzauberung der Romantik“ bei, so die französische Soziologin Eva Illouz. Texte in einem, für alle gleichen Fragenkatalog, transportieren meist keine ausreichend persönliche Note, die uns tatsächlich etwas vom anderen Menschen erfahren lässt. Solche Einträge, wie auch Fotos oder Werdegang, sind online sehr einfach zu fälschen und nur schlecht überprüfbar. Aus herkömmlichen Wegen sich gegenseitig kennen zu lernen, dem sich ineinander verlieben, haben moderne Technikangebote neue generalisierte Handlungsvorgaben entwickelt. Wir versuchen den Weg zur großen Liebe in eine App zu übersetzen, deren Prototypen von manchen Nutzern fälschlicherweise mit einem Navigationsgerät für den Partnermarkt verwechselt wird. Im Grunde erinnert das Dating-Verhalten unserer Art des Shoppings. Wir wollen es nicht mehr dem Zufall überlassen, dem perfekten Partner irgendwo zu begegnen. Wir wollen eine sortierte Vorauswahl nach dem best-möglichen Match sichten. So formuliert klingt es schon etwas nach Shopping. Man will, wie im Supermarkt, das perfekte Arrangement treffen und den optimalen Partner anhand geschönter und meist nicht ganz korrekter Profildateneinträge herausfiltern. Das ist ein anspruchsvolles Ziel. Außerdem wäre es doch schade, wenn wir in Zukunft nicht nur zum buchen, bezahlen oder zur Registrierung einen Internetanschluss brauchen, sondern auch noch online gehen müssten, um eine Beziehung zu finden. Internetbörsen verhelfen Millionen von Nutzern weltweit zum Glück, was ihre Existenz absolut rechtfertigt. Dennoch sollten diese Angebote optionale Möglichkeiten bleiben und nicht den Anspruch verfolgen die Liebe per se in geregelten Bahnen zu lenken. Wir wissen, dass das nicht möglich ist. Ja. Das Internet überwindet jegliche Distanzen in Sekundenbruchteilen, vergrößert den Radius für alle Teilnehmer und erhöht eindeutig die Chancen für ernsthaft suchende Personen. Dazu muss man aber wirklich wissen was man will und danach konkret suchen.
Mit Liebe zusammengetragen aus:
Geo Wissen Magazin, 2016, Nr. 58 „Liebe“