Das Motto „Eine Hochzeit fürs ganze Leben“ ist längst passe. Heute einigen wir uns auf „Eine Ehepartnerin pro Ehe“. Sogar an dieser Formalvorgabe beginnen manche seit einigen Jahren zu rütteln, auch wenn bislang noch ohne juristische Grundlage. Mehr zu Polyamorie können Sie von Konstantin Nowotny erfahren, der die postmoderne Vielliebe auf den Kapitalismus bezieht. Rosie Wilby selbst hat polyamor lebende Menschen in ihrem Freundeskreis, was sie auf die Grundfrage Ihres Beitrags brachte: Sind wir nicht alle ein bisschen Poly? Vielleicht hat jeder eine ganz spezielle Vorstellung davon, wie er/sie aus der Ehe ausbrechen möchte. Und weil das eben noch nicht geht, entstehen Serien-Schlussmacher, so ihr Grundgedanke. Wilby ruft daher zu einer neuen Form von Offenheit gegenüber Beziehungen auf. Nach ihrer Meinung sei unser Verständnis von Partnerschaft und ihren Grenzen in starren, veralteten Bahnen festgefahren. In einem Poetry Slam aus Fragen, von denen jede ganze Buchbände füllen könnte, konstruiert Rosie Wilby eine Utopie, in der Beziehungen nicht enden, sondern sich verändern. Eine Utopie in der Polyamorie und Toleranz die wahre Liebe für uns bewahren können, ohne sich gesellschaftlichen, staatlichen oder religiösen Dirigismen hingeben zu müssen.

Sie führt einige Argumente zu den Unterschieden und der Wandelbarkeit unseres Beziehungsverständnisses an. Männer in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften hätten beispielsweise einen viel höher entwickelten Sinn für graduelle Differenzierungen in der Bindungsintensität von Beziehungen, so Wilby. Sie differenzieren deutlich zwischen verschiedenen Partnerschaften – „Long time Partner for life“ und „Gelegenheits-Partnern“. Naja… Ob das wirklich alle Paare immer so sehen, sei mal dahingestellt. Wichtig ist hier, dass es abhängig vom Lebensentwurf und der Umwelt eines Individuums durchaus unterschiedliche Maßstäbe geben mag. Wilby spricht sich dafür aus, dieses Differenzierungs-Denken gesellschaftsfähiger zu machen.

Im Rahmen eines eigenen Forschungsdesigns untersuchte Rosie Wilby zudem zwei Monogamie-Studien aus 1975 und 2000 mit jeweils über 6000 Teilnehmern. Gefragt wurde nach dem Sexualverhalten außerhalb der Beziehung. Diese Fremdgeh-Daten zeigen, dass in einem Vierteljahrhundert die Aktivitäten…

1-heterosexueller Männer von 28% auf 10% stark gefallen waren

2-heterosexueller Frauen von 32% auf 14% gefallen waren

3-gleichgeschlechtlicher weiblicher Paare von 28% auf 8% gefallen waren und

4-gleichgeschlechtlicher männlicher Paare von 83% auf 59% sanken.

Ein klarer Sieg für Monogamie und Treue. Also scheint es zu stimmen, dass die Liebe früher wirklich etwas freier war… umso erstaunlicher ist ihr Absturz. Diese Entwicklung ist mit verschiedenen soziologischen Ursachen zu begründen: Zum einen die Aidsproblematik der 1980er Jahre, welche dem Gedanken der freien Liebe aus dem davor liegenden Jahrzehnt einen kollektiven Risikogedanken entgegensetzte. Ein späteres Heiratsalter, welches sich mit Emanzipationserfolgen der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, der zunehmenden Pluralisierung der Möglichkeiten, der Entgrenzung der Planbarkeit von Lebensentwürfen und bahnbrechenden Innovationen begründet. Der Hauptgrund liegt jedoch in besserer (und vor allem früherer) Aufklärung durch Schulen, Internet und Medienformate. In der Folge wiesen alle Referenzgruppen eine enorme Monogamie-Steigerung und ein teilweise drastisch gesunkenes Fremdgehverhalten auf.

Aber lässt sich heutzutage überhaupt noch allgemein gültig feststellen, wo Fremdgehen beginnt? Wilby hat das in einem eigenen Mini-Forschungsdesign versucht. Was von den meisten als echter Vertrauensbruch empfunden wird, belegt Rosie Wilby mit ihrer empirischen Studie aus 2014. Hier die Übersicht, wobei die Vergehen nach empfundenem Schweregrad absteigend sortiert wurden:

1-Sex mit Personen außerhalb der Beziehung (94)

2-Jemand anderen küssen (76)

3-Sich in jemand anderen verlieben (auch ohne Intimität) (73)

4-Email-Flirts mit Personen außerhalb der Beziehung führen (62)

5-Nachts wach liegen und über jemand anderen fantasieren (31)

6-Selbstbefriedigung (14)

7-Fantasien hegen (über niemand Konkreten) (7)

8-Pornografie (4)

Mit Blick auf ihre Utopien einer neuen Art von Liebesverständnis in der Zukunft benennt sie bereits deren erste Vorboten wie „emotionale Monogamie“ oder Freundschaft Plus Geschichten, die ihrer Meinung erste Ausbruchsversuche aus traditionellen Mustern darstellen. Ob sie recht hat, wird wohl nur die Zukunft zeigen können, aber lustig und mit vielen informativen Side-Facts gespickt ist ihr Beitrag auf jeden Fall. Und wer mehr über Treue und Untreue erfahren möchte, dem empfehle ich (neben Wilbys unten verlinktem Auftritt bei TEDx) Esther Perells Ansatz „Rethinking Infidelity“.

Quelle:

Wilby, R. “Is monogamy dead?| Rosie Wilby | TEDxHackney Woman”. Beitrag aus der TEDx Reihe aus Edinghburgh 2013. Am 19.06.2015 von „TEDx Talks“ auf Youtube hochgeladen.

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