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Der Bestseller „Generation Beziehungsunfähig“ von Michael Nast befasst sich mit diesem Thema. Beziehungen seien heute nur noch eine Art Beiwerk, so die These des Autors. Etwas, dass sich gefälligst in unser perfektes Leben zu integrieren hat. Die Liebe soll sich uns fügen und nicht umgekehrt. Und wenn es mit dieser Liebe nicht klappt, gibt es da draußen sicherlich immer noch Jemand der besser zu uns passt. Laut Michael Nast liegt das an unserem „Optimierungswahn“. Seit es theoretisch möglich ist, aus der gigantischen Auswahl möglicher Partner den Perfekten herauszufischen, wollen ja auch alle ein solches perfektes Exemplar. Warum noch Dreirad fahren, wenn der Trend in Richtung Flugtaxis geht?

Werden wir dadurch unfähig zur Liebe und Beziehung? Nein, nur anspruchsvoller, so die These des britischen Kinderpsychiaters John Bolby, der ausführt, dass es keine beziehungsunfähigen Persönlichkeiten gebe. Als Kinder sind wir maximal schutzlos und auf die Fürsorge und Geborgenheit anderer angewiesen. Der Wunsch nach Geborgenheit bleibt uns dabei immer erhalten. Wir alle kennen Menschen, die nach schlechten Erfahrungen mit früheren Beziehungen oder in Folge eines Kindheitstraumas sehr vorsichtig bei der künftigen Partnersuche vorgehen. Lesen Sie hier, welche Bindungstypen es gibt und welche Mechanismen ihnen zu Grunde liegen, 

mythologie liebe

Obwohl sich also ein Bindungsstil verändern kann, bleibt in den meisten Menschen ein instinktives Verlangen nach Geborgenheit übrig, so Bolby. Mit „den Meisten“ ist gemeint, dass es auch hier nicht unmöglich ist, durchs Raster zu fallen. Laut Bolby betrifft dies aber nur Einzelschicksale, die sich der Liebe komplett entziehen. Der gesellschaftliche Gesamttrend verschreibt sich ihr immer noch. Die Singlestatistiken stagnieren seit Jahren bei stabilen 20-25%. Die wenigsten davon sind jedoch überzeugte Dauersingles. Die Prozentzahlen entsprechen vielmehr der heutigen Beziehungsfluktuation. Zwischen zwei Jobs kann man sich ja auch kurzfristig arbeitslos melden, ohne dies ewig bleiben zu wollen. Von einer generellen Beziehungsunfähigkeit heutiger Generationen kann also nicht die Rede sein.

Die Stabilität der Ehe erholt sich ebenfalls von den zwischenzeitlichen Schock-Zahlen Ende der 1990er. Ehen halten heute im Gesamttrend durchschnittlich drei Jahre länger als noch vor zwei Dekaden. Es sind vielmehr zwei andere Trends zu beobachten, die den Standesämtern Sorgen bereiten. Zum einen ist die Zahl der Eheschließungen rückläufig, zum anderen steigt die Zahl derer, die sich erst nach +25 Jahren scheiden lassen. Gerade jene Ehen, die nach mehr als drei Jahrzehnten aufgelöst werden, haben rasant zugenommen. Früher beendete man nur wirklich schlechte Beziehungen. Heute gehen wir dafür gefährlich leichtsinnig mit unserem Bindungsverhalten um. Vielleicht entspricht dieser Trend dem Wunsch, das andere Extrem zu erfahren. Aus dem gesellschaftlichen Dirigismus, der es früher anprangerte, eine Ehe zu beenden, erwächst nun ein genau gegenteiliger Trend. Und was sollte diese Generationen aufhalten? Die Rolle des Ernährers aus früheren Versorger-Ehen ist weitestgehend antiquiert, gesellschaftlich werden Scheidungen längst universell akzeptiert und das Klischee der devoten Hausfrau und Gattin schafft sich zunehmend selbst ab.

Die Psychoanalytikerin Benigna Gerisch von der International Psychoanalytic University Berlin, erkennt einen ins Gegenteil verdrehten Trend bei heimlichen Liebschaften. Früher waren es die Frauen, die über dem Gedanken verzweifelten, dass ihr Charmeur niemals seine Ehefrau verlassen würde. Affären sind heute nicht ausgestorben, sie haben sich aber emanzipiert. Gerisch berichtet, dass zunehmend depressive Herren von ihren Affären verlassen würden. Weibliche Seitensprünge haben heute nämlich auch bei weitem wichtigeres zu tun, als sich den Bedürfnissen des Mannes zu verschreiben. Solange es für sie passt, gehen sie gern eine Liebschaft ein, beenden diese aber auch genauso schnell wieder, wenn sie einen noch besseren Partner finden.

Wie konnten sich diese ganzen Veränderungen einstellen? Diese Frage führt nicht um die historischen Veränderungen nach dem zweiten Weltkrieg zurück. Damals waren Beziehungspartner viel weniger wählerisch als heute. Das konnten sie sich auch nicht leisten. In den Trümmerjahren war es wichtig, überhaupt jemanden zu finden, der einem zur Seite stehen konnte. Auch Jahrzehnte danach waren gute Beziehungen solche, in denen der Mann die Frau nicht schlug, nicht betrog und das Brot für die Familie verdiente.

Der US-Forscher Eli Finkel argumentiert hier mit der Maslowschen Bedürfnispyramide. Vielleicht haben Sie davon schon gehört. Abraham Maslow veranschaulicht menschliche Bedürfnisse aufsteigend anhand einer Stufenpyramide. Auf den unteren Ebenen wollen Menschen grundlegende Bedürfnisbefriedigung erreichen (Nahrung, Schutz, Obdach). Nach diesen minimalen Grundbedürfnissen erfolgt unser Streben nach Status und Anerkennung bei unserer Umwelt. Hier tritt auch das Bedürfnis nach Liebe auf. Sortiert nach Wichtigkeit des Bedürfnisses zeigt die Pyramide also die Reihenfolge an, in der Menschen diese Bedürfnisse erfüllen.

An höchster Stelle steht die altruistische Selbstverwirklichung und Autonomie. Auch historisch haben sich die höchsten Punkte dieser Pyramide erst entwickelt, als die grundlegende Versorgung der Bürger gesichert war. Da wir es mittlerweile also gewohnt sind, alle Bedürfnisse an der Pyramide auszurichten, wie auf einer To-Do-Liste, erwarten wir auch die Befriedigung dieser. Also sollen wir in Perfektion die Bedürfnisse des Partners voll und ganz erfüllen, die immer spezifischer zu werden scheinen, und uns gleichzeitig autonom entfalten. Zielkonflikte sind hier vorprogrammiert. Hartmut Rosa und Vera King nennen es (analog zu ihrem soziologischen Forschungsdesign) „Aporien der Perfektionierung in der beschleunigten Moderne“. Wir alle wollen uns perfektionieren, in jedem Bereich. Durch die vielen Möglichkeiten das eigene Leben optimal auszurichten und damit perfekt zu werden, wurde dies langsam zur erwarteten Norm.

Ewiges Streben danach besser zu werden, ist ein vorgelebtes kulturelles Schema, welches viele adaptieren. Schon die kapitalistische Wirtschaft lebt von ewiger Effizienzsteigerung – dem ewigen Wachstum. Als hätte niemals ein Mensch diesen Gedanken bis zum Ende gesponnen, verschreiben sich viele dem Vorsatz ewiger Perfektionierung. Im gleichen Maße soll dann natürlich auch unser Liebesleben perfekt sein. Partner sind dabei viel austauschbarer als früher. Der Pluralismus an Möglichkeiten lässt uns immer wieder neu suchen… nach jemandem der vielleicht noch perfekter ist als der bestehende Match. Eli Finkels Untersuchungen erbringen dazu den Ansatz, dass wir hier ungewollt eine „alles-oder-nichts“ Mentalität entwickeln. Welche Prägung diese auf unsere Beziehungen hat, äußere sich in immer neuen Beziehungstrends und Partner-Hopping auf Online-Dating-Domains. Wir sind zu schnell geneigt, einfach weiterzusuchen, anstatt mit dem Partner, den wir gefunden haben, eine ernsthafte Beziehung aufzubauen, so Nasts Erkenntnis zur „Generation Beziehungsunfähig“.

Die „alles-oder-nichts“ Mentalität geht auf ein Konzept der Psychologin Caryl Rusbult aus den 1980er Jahren zurück. Sie ermittelte im sogenannten Investment-Modell, ab welchem Punkt Unverbindlichkeit in einer Beziehung entsteht. Sobald die Variablen Zufriedenheit mit der Beziehung und Investitionsbereitschaft in die Beziehung sinken und/oder die Zahl alternativer Partneroptionen steigt, sinkt das Ausmaß an Verbindlichkeit und die Wahrscheinlichkeit für eine funktionale Beziehung verringert sich auch. Wohin uns das noch führen mag, kann nur mit Spannung erwartet werden.

Michael Nasts Fazit lautet somit, dass heutige Beziehungen deutlich an Anspruch gewonnen haben. „Wer heute eine Beziehung will, der muss sie auch wirklich wollen“, so der erfolgreiche Autor. Die Liebe muss somit gar nicht gerettet werden, sie muss nur den aktuellen Ansprüchen unserer Gesellschaft entsprechen. Der Unterschied zwischen Perfektion und Mittelmäßigkeit liegt im Commitment. Was wir im Job also zunehmend adaptieren, scheinen wir in der Partnersuche zu verlernen. Vielleicht, weil wir auf unsere Jobs immer noch extrem angewiesen sind und (Dank Dating-Apps) auf unsere Partner nicht mehr so extrem wie früher.

Mit Liebe recherchiert…

Quellen:
Jiménez, F. „Ist die wahre Liebe noch zu retten?“ Am 06.04.2016 in WELT Online Gesundheit veröffentlicht. URL:https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article154047201/Ist-die-wahre-Liebe-noch-zu-retten