Wir haben uns bereits in einem anderen Beitrag mit der Einsamkeit befasst. Angesichts des wissenschaftlichen Disputes für bzw. wider ein Singleleben, möchten wir die gewichtigsten argumentativen Standpunkte beider Sichtweisen für Sie auf die Waagschale legen.

Zuvor ist es sinnvoll zu begründen, wie sich die Single-Community so weit ausbreiten konnte. Hier führt kein Weg an den Gesellschaftswissenschaften vorbei. Der Soziologe Jan Eckhard von der Universität Heidelberg erforscht das moderne Singledasein und versucht, gesellschaftliche Strukturen des Alleinlebens zu erklären. Dass Frauen sich heute gleichsam auf dem Arbeitsmarkt engagieren, sieht Eckhard als einen Hauptfaktor für zunehmende Partnerlosigkeit. Die ehemalige Abhängigkeit von einem Ernährer in der Familie ist längst obsolet geworden, da Frauen sich heute selbst versorgen können. Ebenso lässt sich der Spagat zwischen Produktion (Erwerbsarbeit) und Reproduktion (Haushalt/Kinder/Küche) heute viel leichter bewerkstelligen, als noch vor 50-60 Jahren. Ohne den Sinn von Gleichberechtigung in Frage zu stellen, schaffen wir uns durch die Entgrenzung der möglichen Lebensentwürfe jedoch neue Probleme an ganz anderen Stellen.

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Partnerlosigkeit gilt längst nicht mehr als Stigma, sondern ist zum Synonym für die selbstbewusste und emanzipierte Frau der Postmoderne geworden. Die Arbeitsmärkte stehen heute zwar jedem Menschen offen, der/die die qualitativen Voraussetzungen erfüllt – gerade das schafft jedoch neue Hürden. Das Angebot an potenziellen Bewerbern ist gestiegen, die Leistungsanforderungen an die Bewerber erhöhen sich damit auch. Mittlerweile ist es nicht mehr ungewöhnlich, wenn man für berufliche Perspektiven (mehrfach) umziehen oder täglich lange pendeln muss. Auch der Zweit- oder Dritt-Job wird zunehmend zum gängigen Usus, was immer mehr Menschen zu Arbeitsnomaden macht, wie der berühmte Soziologe Ulrich Beck es zusammenfasste. Die postmoderne Bastelbiographie wird dadurch zunehmend von Unsicherheiten durchsetzt. Wo soll da also noch Platz für Beziehung oder Familie sein?

In der prekärer werdenden Arbeitswelt bedeutet Familienplanung für manche mittlerweile eine Störquelle. Ganz böse Zungen sprechen von einem zusätzlichen Klotz am Bein, der immobil macht und mögliche Karrierechancen verbauen kann. Außerdem ist soziologisch nachgewiesen, dass jene, die als Kinder bereits eine Trennung der Eltern mitgemacht haben, in ihrem eigenen Leben auch eher zu diesem Schritt neigen – die sogenannte „intergenerationale Transduktion“, so Eckard. Was in den letzten Jahrzehnten als Trend anfing, beginnt nun zunehmend zu grassieren. Das Übermaß an Freiheit wird uns damit langsam zum Verhängnis. Wer Wind sät… Die Trennungskinder von gestern bekamen quasi vorgelebt, dass auch als Single oder Alleinerziehende/r die Welt nicht stehenbleibt und greifen deshalb in ihren eigenen Beziehungen (manchmal viel zu früh) zu diesem Mittel.

Partnerlosigkeit wird somit immer einfacher und dadurch zunehmend praktisch, so die ernüchternde Erkenntnis des Soziologen. Der demografische Wandel und der Geburtenrückgang sorgen in manchen Regionen für echte Lücken im Partnermarkt. Dies geht weit über die Aussage hinaus, alle guten Partner seien bereits vergeben. Dass mancherorts einfach keine Partnerangebote zu finden sind, liegt mittlerweile schlichtweg daran, dass es keine verfügbaren Partner gibt, die überhaupt in Frage kämen. Das liegt am Geburtenrückgang. Kinderarme Alterskohorten minimieren eben irgendwann die Chancen darauf, die große Liebe zu finden.

Dass eine Single-Existenz immer auf freiem Willen basiert, ist somit riesengroßer Quatsch. Zwischen jenen die freiwillig oder unfreiwillig in die Partnerlosigkeit geraten, liegen die statistischen Zahlen etwa gleichauf. US-Studien konnten dennoch nachweisen, dass überzeugte Singles sich selbst ein enormes Stück Lebensqualität nehmen. Wer allein lebt, geht belegbar weniger aus. Das liegt nicht an mangelndem Interesse, sondern daran, dass Singles die Verurteilung durch ihre Umwelt fürchten. Wer allein im Kino sitzt, gilt schnell als jemand, der keine Freunde hat. Hierbei gehen wir selbst mit uns jedoch härter ins Urteil, als unsere gesamte Umwelt es je tun könnte. Während uns der Gedanke quält, was die anderen wohl gerade denken mögen, vernachlässigen wir die Chance, dass wir den anderen möglicherweise völlig egal sind oder erst gar nicht auffallen. Solche Gedankenspiralen kratzen deutlich heftiger am Selbstwert der eigenen Außendarstellung, als man glauben mag. Die Furcht vor dem Urteil der anderen hemmt viele deshalb so stark, dass sie ihre Alleingänge in die Welt auf Zweckroutinen minimieren – Arbeiten, Einkaufen, Sport, Arztbesuche. Alles Dinge die man seelenruhig allein machen kann, ohne schief angeschaut zu werden. Sämtlichen klassischen Gemeinschaftstätigkeiten entziehen sie sich jedoch liebend gern.

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Mit einer Ausnahme: Alleinausflüge in die Natur wurden von den wenigsten Singles mit dem Problem der Einsamkeit verknüpft. Der US-Psychologe Christopher Long von der Universität Massachusetts ermittelte mit einem renommierten Expertenkreis, dass 28% der in einer Studie befragten Singles aussagten, in Museen oder im Café extreme Einsamkeit zu spüren. Zu Hause fühlten sich jedoch über 70% der Befragten vergleichbar einsam. Ein klarer Punktsieg für Beziehungen. In unserem Beitrag zu den Bindungstypen haben wir schon ergründet, dass Menschen, die in ihrer Kindheit häufig Unsicherheiten oder Zurückweisungen erfuhren, in ihren eigenen Erwachsenenbeziehungen ebenfalls eher zu Einsamkeitsgefühlen neigen. Einsamkeit wird also zu einer Art self-fulfilling prophecy und permanentes Alleinsein verschlimmert diesen Zustand bis er irgendwann chronisch wird.

Eva-Maria Träger, Autorin der Fachzeitschrift Psychologie heute, hob Ende 2015 in ihrem Beitrag „Ich bin nicht allein, ich habe ja mich“ die Vorteile des „freiwilligen“, „aktiven Alleinseins“ hervor. Mit Bezug auf den Psychologen Eric Julian Manalastas riet sie dazu, sich aktive Auszeiten zu nehmen, in denen das Alleinsein geübt wird. Diese Entschleunigungs-Strategie stärkt das individuelle Selbstbewusstsein, so der Expertenkreis. In der zu Grunde liegenden Studie wurden die emotionalen Effekte dieser Auszeiten durchweg als positiv beschrieben. Dennoch betont Träger, dass es charakterabhängig sei, wie gut jeder von uns mit dem Alleinsein klar kommt. Außerdem ist die freiwillige Auszeit nicht mit echter Isolation vergleichbar. Ein Ausflug in den Wald ist ja auch meist schön, aber deshalb wollen die wenigsten dort für immer und ewig bleiben. Für Einsamkeit lässt sich somit konstatieren: Die Dosis macht das Gift.

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Angesichts der vielen Möglichkeiten auch allein klarzukommen, kann man sich ja fast fragen, welche Vorteile eine Beziehung überhaupt noch zu bieten hat. Vertrauen Sie mir: Dazu könnte man drei Einzelberichte schreiben. Mit Blick auf unsere Waagschale, lässt sich schon erahnen, welche Seite damit gewonnen hätte. Im letzten Teil dieses Beitrags möchten also wir die gewichtigsten Gründe für das Beziehungsleben aufzeigen.

Die positiven Auswirkungen einer Partnerschaft auf die Gesundheit sind in vielen Studien belegt worden. Welche Macht die Liebes-Hormone Dopamin und Oxitocin auf uns ausüben können, haben wir schon mehrfach behandelt. Mehr erfahren Sie dazu in unserer Reihe über die Neurobiologie der LiebeBeziehungsmenschen haben sogar eine höhere Lebenserwartung als Singles – und das, obwohl Singles durchschnittlich mehr Sport treiben und im statistischen Mittel schlanker sind. Coco Chanel hatte eben doch recht, als sie sagte: Alter schützt vor Liebe nicht, aber Liebe vor dem Altern.“ Beziehungen lassen uns zwar manchmal unter die Decke gehen, aber insgesamt können Menschen in einer Partnerschaft deshalb aber auch viel leichter mit Stress umgehen, selbst wenn dieser Stress dann mal vom Nachbarn, dem Chef oder von nervigen Alltagssituationen ausgeht. Eben weil wir in Beziehungen zu Profis unseres Kortisol-Haushaltes werden, können wir ihn besser kontrollieren. Zudem werden wir durch ein Beziehungsleben sozialer, bekommen ein besseres Gespür für Konversation, für das Lesen von Mikroexpressionen und können deshalb ein viel höheres Grundmaß an Empathie generieren – nicht nur gegenüber dem/der Partner/in, sondern immer. Dabei arbeiten wir mitunter auch an eigenen Unzulänglichkeiten, die uns als Single möglicherweise niemals aufgefallen wären. Das Potenzial für emotionalen Fortschritt sieht in Beziehungen deutlich vielversprechender aus, als im Alleinsein. „Liebe ist das Einzige, was nicht weniger wird, wenn man es verschwendet“, so Ricarda Huch.

Im Umgang mit Alltagsproblemen haben wir in Beziehungen eine zweite Meinung, einen weiteren Ideengeber, der verhindert, dass wir für unsere Lebensentwürfe solange betriebsblind weitermachen, bis die harte Realität uns eines besseren lehrt. Wir können uns wechselseitig auch in intimsten Fragen rückversichern und gemeinsame Lösungen für Individualprobleme suchen. Haben Sie schon mal allein ein Brainstorming gemacht? Ja genau: In der Gruppe geht es nicht nur schneller, sondern das Resultat ist viel ertragreicher. Genau darauf zielt das Argument ab. Partnerschaften sind in der Regel doppelt so clever, wenn es um die Ausdifferenzierung von Strategien geht. Außerdem leben Paare deutlich günstiger – man blicke nur auf die Steuerklassen. Offizielle Zahlen bestätigen zudem, dass Singles in Deutschland häufiger verschuldet sind, als Paare.

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Zuletzt noch ein Totschlagargument, dem wirklich nichts entgegenzusetzen ist: Francois Mauriac hat es so wundervoll beschrieben, dass man es vermutlich gar nicht mehr besser formulieren kann: „Jemanden lieben heißt als Einziger ein für die anderen unsichtbares Wunder zu sehen“. Neben besserer (psychischer und physischer) Gesundheit, höherer Lebensqualität und günstigerer Finanzlage, ist das Hauptargument, dass die Liebe unser Ego positiv bestätigt, uns glücklich macht und das Gefühl von geborgener Zweisamkeit der Entstehung vieler Ängste entgegenwirkt. „Die Vernunft kann nur reden. Es ist die Liebe, die singt“, so Joseph de Maistre. Dass die Argumente für die Liebe hier deutlich überwiegen, soll überzeugten Singles nicht die Laune vermiesen… Aber auf der anderen Seite sind die meisten Beziehungs-Opportunisten auch keine Rezipienten unserer Artikelreihe. Trotzdem haben wir kein Recht dazu, überzeugten Singles den Anspruch auf Glück abzusprechen. Wer allein glücklich ist, darf selbstverständlich auch allein glücklich bleiben. In unserer Bestandaufnahme haben jedoch Paarbeziehungen deutlich gewonnen.

Liebe ist der Entschluss, das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein wie sie wollen, so Otto Flake.

In diesem Sinne…

Quellen:

Sieckmann, K. „Warum Single“ Psychologie Heute 42. Jahrgang, Heft 12 aus Dezember 2015; Seite 27. Mit Bezug zu: Eckhard, J. „Der sozialstrukturelle Kontext der zunehmenden Partnerlosigkeit in Deutschland“ Zeitschrift für Soziologie, 43/5. 2014; Seiten 341-360

Träger, E.-M. „Ich bin nicht allein, ich habe ja mich“ Psychologie Heute 42. Jahrgang, Heft 12 aus Dezember 2015; Seite 25.

Beck, U. „Risikogesellschaft – auf dem Weg in eine andere Moderne“ Frankfurt a.M. Suhrkamp

Elitepartner Magazin, Redaktion vom 21.01.2016. URL: https://www.elitepartner.de/magazin/fuehren/welche-vorteile-hat-eigentlich-eine-beziehung/