Wir haben die Möglichkeiten, in kürzester Zeit mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, selbst wenn diese am anderen Ende der Welt leben. Doch all die technischen Errungenschaften erheben unsere Art, sich kennenzulernen, nicht etwa auf eine höhere, effizientere oder einfachere Ebene, sondern scheint sie auf direktem Weg in den Abgrund zu führen. Stimmt es also, dass unsere Art zu Daten gerade ausstirbt?

Der Autor, Dating- und Personality-Coach Kevin Carr vergleicht die heutigen Erwartungen, die wir an Beziehungen stellen, mit denen früherer Generationen. Seine Ergebnisse verblüffen. Laut Carr haben sich die Werkzeuge, mit denen wir Beziehungen suchen, aufbauen, festigen und führen stets von Generation zu Generation verändert. Viele geben heute der digitalen Unpersönlichkeit die Schuld dafür. Laut Carr ist dies falsch. Im Umkehrschluss macht er nicht etwa die aktuell vorherrschenden Werkzeuge (Tinder, Bumble, Match & Co.) dafür verantwortlich, dass sich die Datingkultur verändert, sondern er macht uns alle, die wir tagtäglich andere Menschen daten, dafür verantwortlich. Nicht die Technik sei das Problem, sondern wir sind es, so der Beziehungsexperte.

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Im stetigen Versuch, uns von unseren Eltern- und Großeltern-Generationen abzugrenzen und selbst neu zu erfinden, gehen viele mittlerweile Beziehungen ein, die sie jedoch niemals als solche bezeichnen würden. Werfen Sie einen Blick auf den Beitrag „Im Dschungel der Beziehungstrends“, um nur einige der neu erfundenen Partnerschaftsmodelle kennenzulernen. Wir biegen uns somit die Rahmenbedingungen früherer stabiler Musterbeziehungen so zurecht, dass sie irgendwie in unsere pluralistische Lebensführung der Postmoderne passen. Dabei scheint manchen fast nichts mehr heilig zu sein und neue Sonderregelungen treten an die Stelle von Treue, Intimität und Partnerschaft.

Die sogenannte Millenniums-Generation stellt mittlerweile die größte datende Gruppe unserer Gesellschaft – und nur 26% von ihnen sind tatsächlich verheiratet. Aus den früheren „Relationships“ sind längst „Situationships“ geworden, wie Kevin Carr es clever formuliert. Gemeint sind Beziehungen, die perfekt an die individuelle Lebenssituation angepasst werden und dabei auch noch extrem wandelbar bleiben können. Das alles führt dazu, dass das Bild, welches gerade die jüngeren Generationen vom Dating haben, mittlerweile mehr als schwammig geworden ist. Früher holte ein junger Mann ein Mädchen von deren Elternhaus zu einem Date ab – oftmals von den argwöhnischen Blicken ihrer Eltern begleitet. Solche einst allgemeingültig akzeptierten Erwartungshaltungen sind mittlerweile weitestgehend antiquiert. Heutzutage trifft man sich auf einen 30-Minuten-Kaffee bei Starbucks, so Carr. Manche bleiben gleich ganz zu Hause, wenn die Face-Cam genauso hochauflösend ist, wie die Realität – wozu noch ausgehen, so der mittlerweile oft zitierte Tenor? Diese Strategie birgt jedoch mehr Risiken als Vorteile, gerade wenn man sie übertreibt, so Carr gegenüber Sequoia Blodgett von “Black Enterprise”.

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Die Zahl der Social Media Nutzer durchbrach in 2016 die 2 Milliarden- Marke – das sind mehr als ein Viertel der gesamten Menschheit. Der Trend geht exponentiell dahin, dass in nicht allzu ferner Zukunft jeder dritte existierende Mensch mittels sozialer Medien kommunizieren wird.

In einer Langzeitstudie (über 75 Jahre Laufzeit) der Harvard Universität, kristallisierten die Forscher heraus, dass der Schlüssel für ein langes Leben in bedeutungsvollen Beziehungen liegt. Wer sozial gut integriert, vernetzt und akzeptiert ist, lebt glücklicher. Und wer glücklich lebt, lebt länger, so die Wissenschaftler der Elite-Uni. Das mag kein gänzlich neuer Erkenntnisgewinn sein, aber zum ersten Mal in der Geschichte wurde er in Zahlen, Daten und messbaren Fakten valide fixiert.

Carr kommt zu dem Schluss, dass sich der Begriff Dating zwar intergenerational erheblich unterscheiden mag, der eigentliche Prozess dahinter jedoch absolut stabil bleibt. An dem eigentlichen Ziel, das wir mit dem Dating verfolgen, hat sich lediglich die Form geändert. Das daraus resultierende Potenzial (funktionale Beziehungen miteinander aufzubauen, die unser Leben länger und vor allem schöner machen) ist unverändert hoch geblieben. Auf seine Eingangsfrage, ob Dating also gerade ausstirbt, antwortet er mit einem simplen: „Nur wenn wir dies zulassen, kann es auch geschehen.“ Somit sei nichts falsch daran, die Möglichkeiten unserer digitalen Welt voll auszuschöpfen. Genau so wichtig ist es allerdings noch immer, sich auf echte Face- to- Face Kontakte einzulassen und sich nicht im technologischen Tohuwabohu zu isolieren. Wer also jemanden via Online-Plattformen kennengelernt hat, den er/sie sympathisch findet, sollte zügig reale Treffen vereinbaren und echte soziale Verbindungen knüpfen, anstatt sich nur hinter der Tastatur zu verstecken. In diesem Zusammenhang empfehle ich Ihnen die 2/2/2-Regel von Evan Marc Katz.

In diesem Sinne: Tinder&Co. sind tolle Errungenschaften für unsere aktuelle Datingkultur, wenn man sie nur verantwortungsvoll zu nutzen weiß. Haben Sie Mut, gehen Sie raus in die Welt… denn dort wartet die Liebe auf Sie.

Quellen:
Carr, K. „Dating Is Dead | Kevin Carr | TEDxWilmington Salon“. Beitrag zu TEDx Talks Reihe aus dem Wilmington Salon der Universität in Delaware, Februar 2017.

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Blodgett, S. “How to Date in the Digital Age” Sequoia Blodgett von “Black Enterprise” im Gespräch mit Kevin Carr, 10.04.2017.
URL: https://www.blackenterprise.com/date-digital-age/